~ Die Herzlande ~

 

Annwfyn - Insel der Nebel

 

Verborgen hinter den dichten Dunstschleiern der Nebelsee im südöstlichen Ildorel, welche kein Schiff und keine Magie zu durchdringen vermögen, liegt der Sage nach ein Eiland von wundersamer Schönheit – Annwfyn (gesprochen: Annjufinn), die Insel der Nebel, in Shidar Nevis genannt. Auch wenn sich in den Herzlanden viele Märchen und Legenden um Annwfyn ranken, wissen nur wenige Auserwählte von dem kleinen Eiland und noch weniger haben es je betreten. Wenn die Immerlande einen Winkel besitzen, den die Geschichte und die Zeit vergessen haben, so liegt Annwfyn im Herzen dieses Winkels. Die Insel ist nicht sehr groß, vielleicht hundert Tausendschritt lang und nicht einmal halb so viel breit, trägt verfallene Bauwerke aus schimmernd hellem Kalkstein, dichte Nadelwälder und zerklüftete Felsenberge auf ihrem zerfurchten Leib - und beherbergt ein uraltes Heiligtum der Druiden der Altvorderenzeit, einen Ort großer Macht, genannt das Steinherz. Die Druiden der Neun Königreiche der Ersten Menschen errichteten es, so kündet die Legende, auf Geheiß der Göttin selbst und zu Ehren Ealaras an einem besonderen Ort - auf einer Insel inmitten des Ildorel im Herzen des Imperiums der Drachenkönige.

Im Norden von Nevis liegt der Ort der Ewigen Ruhe, eine unterseeische Grotte in der Bucht der Klagen, in der sich die Ruinen von Lehhãne der einstigen Stadt der Asrai, einer verschwundenen Gründerrasse, befinden sollen - die Bucht der Klagen ist nach ihren geheimnisvollen Trauergesängen benannt, die man der Legende nach auch heute noch an windstillen Tagen aus den blaugrünen Tiefen bis hinauf ans Tageslicht hören kann. Im Norden von Annwfyn erheben sich auf der Insel selbst auch zwei Berggipfel, genannt die Drachenzinnen, felsige Zwillinge mit dicht bewaldeten Hängen, abgetragen und rund geschliffen von zahllosen Jahrtausenden. Sie stehen Seite an Seite und auf ihren Gipfeln sind die zerbröckelnden Überreste der zwei steinernen Hochsitze Wacht und Geleit, die der Drachenkönig Ruandor I. einst auf ihnen errichten ließ. Zu Füßen der Berge entspringt der Fluss der Tränen, welcher im Süden Annwfyns in die Wisperbucht mündet, und an seinen Quellen liegt Sommerhall, ein Jagdschloss aus uralten Zeiten - niemand weiß, ob es Ruandor I. oder ein anderer Dracayren hier errichten ließ, doch es heißt, es sei ein verzauberter Ort, seltsam unberührt von der Zeit. Moos und Farne haben sich die weißen Steine Sommerhalls zurückerobert, die hohen Hallen stehen leer und niemand außer der Wind wandert durch die schlanken Türme und efeuumrankten Höfe, und doch ist das Bauwerk keine Ruine, scheint der Verfall es nicht zu berühren.


In den Gewölben Sommerhalls lebt, glaubt man die wenigen verlässlichen Gerüchten über Annwfyn, der Seedrache Inerukei, der einst auf die Insel kam, um die erste Wächterin des Steinherzens, Nimue, eine Druidin und seine Geliebte, zu beschützen. Das Steinherz, jenes uralte Druidenheiligtum, liegt tief im Inselinneren verborgen am westlichen Ufer des Flusses der Tränen. Ein Ring halbhoher Steine ragt hier aus dem weichen Smaragdgras, acht an der Zahl. Jeder Stein trägt ein verschlungenes Symbol, verwittert und moosbewachsen, doch noch immer zu erkennen, von dem ein stetes, goldenes Glühen auszugehen scheint wie Feendunst. Aus jedem der acht Steine quillt unterhalb des Symbols ein Rinnsal heiligen Wassers und fließt in ein steinernes Becken im Zentrum des Kreises. Dieser Teich ist Ealaras Spiegel und in seinen kristallklaren Wassern schlummert ebenso große Macht wie große Gefahr, denn er vermag es, Dinge zu zeigen, die waren, Dinge, die sind und Dinge, die noch sein mögen.


Doch niemand, der hineinsieht, vermag zu bestimmen, was er zu Gesicht bekommen wird - ob es schöne oder schreckliche, bedeutsame oder unwichtige Visionen sind. Ealaras Spiegel wird stets von einer Wächterin gehütet, und allein sie beherrscht es, die Steine zu erwecken und seine Zauberkräfte im Namen der Grünen Erdenmutter anzurufen. Die Wächterin ist stets eine Druidin, auserwählt von der Urmutter selbst, die ihr Leben auf der Insel Annwfyn in Abgeschiedenheit und Einsamkeit verbringt. Fühlt eine Wächterin ihre Jahre zur Neige gehen, bittet sie das Steinherz, eine Nachfolgerin zu bestimmen und irgendwo auf den Immerlanden wird eine Frau im Dienst Ealaras den Ruf vernehmen und zur Insel Annwfyn ziehen, um von ihrer Vorgängerin in die Mysterien eingeweiht zu werden und ihren Platz als Hüterin einzunehmen. Die derzeitige Wächterin von Ealaras Spiegel ist Tiarana von Inveruir, genannt Tiarana Feuerhaar, eine Erzdruidin von großer Macht, doch launischem Wesen, die, obwohl sie alles andere als alt ist, schon zwanzig Jahresläufe das Steinherz hütet.


Die Hüterin von Steinherz lebt unweit des Heiligtums im Haus der Dame, einer alten, gleichwohl wundersamen Bleibe direkt am Ufer des Flusses der Tränen, das in die Wurzeln und den hohlen Stamm eines gigantischen Herzbaumes hineingebaut wurde. Was keine Legende zu berichten weiß und nur einer Handvoll Eingeweihter in den ganzen Immerlanden bekannt ist, ist die Tatsache, dass die Insel Annwfyn seit dem Fall des Imperiums von Ûr und den großen Zerstörungen im Süden auch zum Hort eines der vier Artefakte Ealaras - Kelch, Schwert, Speer und Stein – geworden ist. Denn nach dem Untergang Ûrs und dem Verlust von Nair Siaf an einen Orden der Munduskinder, brachten seine Hüter, Druiden und Waldläufer vom Orden der Coirefailcolgae, den Speer von Gae auf die Insel, damit er hier sicher und vor den Augen der Welt verborgen ruhen könne, bis der Tag kommt, an dem eine Hand sich seiner würdig erweist und seine Macht gerufen wird.


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